Inhalt
Laura
Partielle Trisomie 9q
geb. August 1998
Zuletzt aktualisiert: Juni 2008
Nach fast 10 Jahren entschlossen wir uns, dass unser Sohn Christian nicht länger ohne Geschwisterchen bleiben sollte. Er selbst war von dieser Idee auch sehr angetan und so war die Freude sehr groß, als ich (die Mama) das erste Ultraschallfoto unseres "Krümels" mit nach Hause brachte.
Übelkeit, Probleme - bei mir doch nicht!!!!!! (beim Großen verlief die Schwangerschaft vielleicht zu glatt)
Also übel war mir nicht, die Probleme kamen jedoch schon beim allerersten CTG, so ca. 28. Woche. Das gefiel meiner Frauenärztin nämlich überhaupt nicht, ... so als ob das Kind immer schliefe. Na ja, zunächst hieß es Bettruhe, CTG-Wiederholungen in kürzeren Abständen als eigentlich vorgeschrieben, bis die Ärztin dann doch lieber weiteren Fachrat einholen wollte und mich zum Chefarzt unseres Krankenhauses im 7 km entfernten Hauptdorf zum Wehenbelastungstest schickte.
Der behielt mich erstmal für eine Woche da und entließ mich nur unter der Bedingung, dass ich 2x täglich zum CTG (auch am Wochenende) kam.
Im nachhinein wundere ich mich manchmal, was man alles so mit sich machen lässt, ohne Widerstand - War ich ein Schaf? oder läßt einen die Hoffnung auf das Baby, der Wille, ihm jede Chance zu geben, das -es wird schon alles gut werden- so naiv reagieren?
So lag ich mal links und mal rechts herum bis zur 36. Woche. Nun war wenigstens rechnerisch das Kind aus dem Gröbsten raus. Wegen der immer noch seltsamen Herztonkurven fragte ich mal vorsichtig nach einem Herzfehler und wurde prompt zum Herzzentrum ins 35 km entfernte Klinikum nach Aachen zum Herzultraschall geschickt.. (ein Mißbildungsultraschall in der 22. Woche war unauffällig)
Der Kerl im Klinikum (Aachen), soll ich zu so was Arzt oder Dr. sagen, war echt die Höhe. Mindestens eine Stunde schallte er auf/an mir ohne jeglichen Kommentar herum. Dann:" Ich weiß nicht welcher Teufel Ihren Arzt geritten hat, Sie zu mir zu schicken...- aber es war richtig so. Ihr Kind hat einen sehr schweren Herzfehler, eine Vene ist nicht zu finden. " Er malte dann noch eine dillettantische Skizze auf ein Einmalhandtuchpapier (hatte wohl kein Toilettenpapier zur Hand), empfahl mir in der Klinik bis zur Geburt zu bleiben und ging.
Nun waren wir allein, geschockt hilflos unglücklich, trostlos, verlassen. Ich fürchte, es geht leider vielen so. Im nachhinein habe ich oft gedacht, hätte ich... aber ich war einfach zu überrollt.
Um es abzukürzen, ich bin also geblieben, Laura kam zwei Wochen später nach einer komplikationslosen Geburt dort zur Welt und wurde natürlich sofort an einen Tropf angeschlossen und dann mir noch mal kurz in den Arm gelegt. Das Gefühl war unbeschreiblich... die ganze Angst um das Kind... und dann liegt sie so süß und friedlich in meinem Arm. Ich glaube von da an fing ich auch wieder an zu kämpfen. Die medizinische Versorgung im Klinikum war für Laura optimal. Ich fing sofort mit dem Abpumpen an, denn Stillen war aufgrund ihres Beatmungsgerätes nicht möglich.
Aber das Wichtigste: die blöde Vene war DA!!!!!!!! Ätsch!!!!!!!! Laura hat eine leichte bis mittlere Trikuspidalinsuffizienz, ebenso eine Pulmonalstenose. Aber wenn sie so weiter macht, ist OP kein Thema.
Naja, aber lange triumphieren durfte ich nicht. Der gleiche gefühlskalte Mensch fand meine süße Tochter komisch aussehend, so viele Haare, so dünn, krumme Finger, tief sitzende Ohren. Die Blutuntersuchung in einem Kölner Labor, ebenso eine humangenetische Beratung bei Prof. Habedank (Aachen) ergab nichts.
Mit wenig Info über Herzfehler und Zukunft durfte Laura dann nach 3 Wochen nach Hause.
Das Trinken war etwas mühsamer als beim Bruder, die Brust lehnte sie leider glatt ab, so schafften wir uns eine Melkmaschine an und versuchten es mit mehreren kleinen Mahlzeiten.
So waren wir eigentlich alle sehr glücklich, Bruder Christian tierisch stolz und die Sorgen wurden doch wieder etwas verdrängt.
Ja bis zum Februar, mit etwa einem halben Jahr bekam Laura dann ihren ersten "Fieberkrampf" und irgendwann war dann auch klar, dass sie auch noch Epilepsie hat. Und in Verbindung mit dem immer deutlicher werdenden Entwicklungsrückstand, inzwischen Vojta-Behandlung, kam natürlich immer wieder das Thema Genetik zur Sprache.
Jetzt wollte ich es auch wissen. Und nach einigem Hin und Her steht es seit März 2000 fest, Laura hat eine sehr seltene Chromosomenstörung, nähere Angaben zu Entwicklung und Verlauf (vor allem immer die bange Frage, was kommt noch?) gibt es nicht.
Zum Glück haben wir eine sehr engagierte, menschliche Ärztin in einem kleinen, sehr persönlichen Krankenhaus mit Kinderabteilung in der Nähe in Stolberg gefunden. Hier fühlen wir uns bei Problemen immer gut aufgehoben, gut beraten und haben auch großes Vertrauen. Hier kann man über Nacht beim Kind bleiben- in Aachen nicht. So haben wir mit viel Geduld die Krampfanfälle reduzieren können und arbeiten gemeinsam weiter an einer Verbesserung. Frühförderung läuft natürlich auch.
Nun bin ich aber dran...
Ich bin Laura. Jetzt fast 2 Jahre alt. Ich bin sehr fröhlich, lache sehr gern. Am liebsten über den Quatsch, den mein großer Bruder immer mit mir macht. Und schmusen ist toll!!! Und jetzt verrate ich Euch einen Trick, wie man Mamas ärgert und traurig macht: Schlecht essen, sehr wählerisch sein, vor allem nichts kauen und zu guter Letzt sich ekeln und alles wieder auspucken. Und Mamas Gegentrick?? Na Bilderbücher und Faxen! Gut dressiert, was? Im Moment trainiere ich Laufen. Nach dem 5. Schritt fange ich schon an zu rennen, so dass mich entweder jemand rettet, oder ich finde etwas Geeignetes zum Festhalten (steht ja genug rum in der Bude) oder es gibt eben eine Beule. Dann mache ich großes Geschrei, so dass Mama, Papa oder Christian mich schnell trösten. Ich habs gut, was? Da Mama so viel redet und singt, der Bruder das auch sehr gut kann, halte ich mich daran gar nicht erst auf. Ich sag einfach ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ und dann weiss sowieso jeder, was ich will. Zum Beispiel nachts nicht mehr schlafen. Dafür interessiere ich mich für alles - Schubladen, Stöcke, Tiere... nur essbar darf es nicht sein. Bah!!!!!!
Gedanken zum Beginn 5 Jahre später: (2005)
Über den Arzt bin ich immer noch sauer. Vielleicht muss ich das nochmal aufarbeiten. Ist allerdings auch ein Grund, warum ich bei Leona mitarbeite. Ich habe mich zwar gleich zu Beginn an den Bundesverband Herzkrankes Kind gewendet, für die nötigen medizinischen Informationen zum Herzfehler, aber eigentlich hätte der Hinweis auf Leona hilfreicher sein können. Auch noch vor der eigentlichen Diagnose. (Internet hatten wir damals noch nicht)
Was hat zu Beginn noch geholfen? Natürlich Freunde, Oma und Opa, die immer stolz auf ihre Enkelin waren.
Nie vergessen werde ich auch den ersten Anruf bei Caroline, Kontaktvermittlung von Leona: " Mir fällt gar nicht mehr auf, welche meiner Töchter nun behindert ist" Das gab mir Hoffnung auf eine Zeit, in der man nicht mehr nur auf Defizite beim Kind schaut, nach ständig neuenTherapien sucht...
2001
Auf dem Bild könnt Ihr mich bei meiner Lieblingsbeschäftigung sehen - im Garten mit Wasser spielen. Egal ob in der Badewanne, aus dem Schlauch, aus der Gießkanne oder am Waschbecken, wenn ich mit Wasser spielen kann, dann bin ich total vertieft, da kann Mama sogar ihre Zeitung lesen.
Inzwischen kann ich auch laufen. Ich falle zwar noch öfter hin (Mama läßt soviel rumliegen) und die Familie hätte gerne noch mehr Speckpolster an mir, damit nicht immer gleich die blauen Flecken kommen, aber ich lasse mich davon nicht unterkriegen.
Mit dem Essen habe ich immer noch so meine Probleme. In den letzten 2 Tagen habe ich Mama mal überrascht und einen Biskuitkeks gegessen. Ganz alleine! Meine Lieben sagen, es wäre ein Wunder, denn normalerweise esse ich nur pürierten Sinlacbrei(Sojabasis) mit Kartoffel/Karottenpüree vermischt oder Soja-Vanillepudding. Und wenn mir etwas nicht passt oder schmeckt, dann kann Mama eben den ganzen Quatsch vom Boden oder Tisch wegwischen!
In den Osterferien waren wir deshalb auch 4 Tage bei Frau Iven in Baiersbronn zur Mund-Eßtherapie im schönen Schwarzwald. Dort haben wir erstmal nach Padovan geturnt und dann versucht verschiedene Pfeifen, Schläuche, Strohhalme und so was in den Mund zu nehmen. Na die haben erst wischen dürfen! Mir hat das nämlich überhaupt nicht gefallen. So gesehen weiß Mama auch nicht, ob es was gebracht hat. Sie hat aber auf jeden Fall Anregungen bekommen und so einiges an Pfeifen mit nach Hause genommen. Da hat sie dann statt auf Zwang auf meine Neugier und Probierfreude und Geduld gesetzt. Heimlich hat sie zwar gemeint, ich lerne nie pfeifen - aber jetzt pfeif ich drauf! Wie die sich freuen können, meine Eltern, wenn da plötzlich ein Ton aus der Pfeife kommt, also manchmal frage ich mich wer hier wem hilft.
Sprechen kann ich übrigens noch immer nicht. Ich höre sehr gern und aufmerksam zu, wenn Mama Lieder singt. Und so habe ich dann auch angefangen, die Gebärdensprache zu lernen. Bei Liedern wie den "10 kleinen Zappelfingern" oder "Das ist gerade, das ist schief" hat Mama immer so rumgefuchtelt, dass es richtig Spaß machte, das auch zu tun. Außerdem hat sie auch beim Bilderbuch anschauen immer so komische Ohren am Kopf mit den Händen angedeutet, das sollte wohl ein Häschen sein. So was muss man doch nach machen, wenns den Eltern Freude macht. Also kann ich jetzt essen, trinken, Hund, Katze, Maus, Uhr, Kühe, Pferd usw. mit Gebärden sagen (über 40 Stück) - da bin ich schon ganz schön stolz auf mich. Blöderweise vesteht diese Gebärden nicht jeder. Also haben meine Eltern mir so einen Bigmack besorgt und jetzt soll ich noch ein Alpha-Talker bekommen.
Das allertollste sind aber Tiere für mich. Mein Bruder hat leider nur so einen kleinen Hamster, der erschrickt, wenn ich ihn knuddeln will, aber bei uns im Dorf gibt es immer Kühe und Pferde zu sehen. Hunde und Katzen laufen auch alle Nase lang auf der Straße rum. Vor mir ist keiner sicher!! Dummerweise gibt es Weidezäune. Dann mache ich immer großes Geschrei, dass die Kühe zu mir kommen sollen - aber so richtig wollen die nicht. Die wissen nicht was sie verpassen. Ich bin nämlich sehr lieb, sagt Mama, und will mit jedem schmusen.
2002
Nun ist schon wieder ein Jahr rum . Ich bin inzwischen viel sicherer beim Laufen geworden. Wie Ihr auf dem Bild seht, klettere ich auch schon die Rutsche herauf, die mir der Papa extra zu meinem letzten Geburtstag gebaut hat.
Beim Essen habe ich auch schon kleine Fortschritte gemacht. Jetzt lutsche ich schon Schokolade, esse Kekse - die "gesunde" Nahrung lasse ich mir allerdings immer noch lieber pürieren.
Auch zum Spucken gibt es immer wieder Anlass, sei es Aufregung und Freude, Ärger oder Ekel - sonst ginge es meinen Eltern auch viel zu gut mit mir.
Gestern habe ich auch eine Probe meiner gewachsenen Selbstständigkeit abgeliefert. Ich schaffe es jetzt nämlich Schuhe, Hosen, Pullover usw. selbst auszuziehen. Und als gestern Nachmittag nach dem Schlafen mich nicht gleich jemand geholt hat, habe ich mich schon mal der lästigen Klamotten inklusive der vollen braunen Windel erledigt. Mama meinte, die Waschmaschine wäre voll gewesen -
Ich kann jetzt den Hund "Wawa" rufen, und "ha" sagen. Auf weitere Sprecherfolge lasse ich die Familie noch warten.
Dafür kann ich inzwischen über 100 Gebärden und benutze hin und wieder den Alphatalker, um etwas zu erreichen. Wie wir die Gebärden gelernt haben und was ein Alphatalker ist, erzählt Euch die Mama später.
Tiere habe ich nach wie vor am liebsten. In unserer Nähe ist eine Pferdekoppel. Dem Pferd bringe ich jeden Tag einen Apfel - das kennt mich schon und lässt mich schmusen. Wie schön warm und weich ist doch so ein Pferdefell! Eine Reittherapie habe ich mir für später schon fest vorgenommen.
Ab September gehe ich dann in die integrative Tagesstätte. Meine Lieben sind schon ganz gespannt, wie mir das gefällt. Es war gar nicht so einfach einen Platz zu bekommen, dabei werde ich doch schon 4! Auch an den Transportkosten will jetzt der Landschaftsverband sparen, obwohl die Einrichtung 18 km weit entfernt liegt. Also heißt es wieder Anträge, Begründungen... Nur keine Langeweile!
Empfehlung
krankengymnastik
zusätzlich zur wöchentlichen therapiestunde
täglich nur etwa 20 minuten
übungen zuhause
ergotherapie
zusätzlich zur wöchentlichen therapiestunde
täglich nur etwa 20 minuten
übungen zuhause
logopädie
zusätzlich zur wöchentlichen therapiestunde
täglich nur etwa 20 minuten
übungen zuhause
schluß
mit der
co therapeuten rolle
ab heute
bin ich
nur noch
deine mutter
(aus "...mit der Stimme des Herzens" von Dorothee Zachmann, ISBN 3-579-02238-5)
Ich möchte noch zwei Hilfsmittel vorstellen, mit denen ich gute Erfahrungen bezüglich Kommunikation gemacht habe. Die GUK-Karten sind ja bereits im letzten Elternheft vorgestellt worden. Zum Thema Gebärden habe ich noch eine ganz tolle CD-ROM entdeckt, die der ganzen Familie das Gebärdenlernen mit viel Spaß erleichtert.
Sie heißt TOMMYS GEBÄRDENWELT und ist für gehörlose, schwerhörige, lernbehinderte und hörende Kinder ab 3 Jahren gedacht. Sie ist von Karin Kestner, Hufgarten 4b in 34302 Guxhagen, Fax 05665/3556, E-Mail karin@kestner.de, Internet www.kestner.de, ISBN 3-00-005003-5 (Systemvoraussetzungen min. Pentium 75; 32 MB RAM; 8x CD-ROM; WIN 95/98; 2 MB Grafikkarte; Soundkarte; ca. 50 MB freier Festplattenspeicher).
Und wie funktionierts? Wunderschöne Bilder zeigen Tommys Welt, Haus, Garten, Zoo, Schule, Stadt, Familie, Körper usw. Mit einem Mausklick wird z.Bsp. ein Tier ausgewählt und dann läuft ein Gebärdenvideo ab, gleichzeitig wird der Begriff auch langsam und deutlich ausgesprochen. Gut als Hörübung als auch für Kinder wie Laura, die sehr gut hören, aber nicht sprechen können. Dieses Programm ist sehr vielseitig verwendbar.
Und sieht so aus:
Habe ich mich per Mausklick für den Zoo entschieden und dann zum Beispiel für den Elefanten, erscheint dann das Video mit der Gebärde:
2003
schon wieder ist ein Jahr um, und wir wissen gar nicht, wie die Zeit so schnell vergehen konnte. Ich bin also in den Kindergarten gekommen. Das ist eine tolle integrative Tagesstätte, wo sich alle sehr viel Mühe mit mir gegeben haben. Vor allem habe ich gestaunt, wie schnell ich doch den anderen die Gebärden beibringen konnte. So konnte ich alle rumkommandieren und war sehr zufrieden.
Auch das selbstständige Essen haben sie mir dort beigebracht (immer noch Brei, außer Kekse und Schokolade). Nur meine Eltern sind noch so wohlerzogen und dürfen mich füttern. Mal sehen, wie lange die das noch mitmachen!
Dann gibt es noch eine neue Nachricht. Wir ziehen um. Ich bekomme ein eigenes Zimmer. Soll dort alleine schlafen. Wartet's mal ab...
Ach ja, da wir etwa 100 km weiter ziehen, muss ich auch in einen neuen Kindergarten.
2004
Ich habe nun endlich ein eigenes Zimmer, wo auch das Puppenbett Platz hat, habe einen Schreibtisch und male gerne. Am liebsten male ich Hasen und Katzen. Noch besser finde ich es, wenn Papa und Mama für mich malen. Dann passe ich aber auch genau auf, dass sie nicht etwa vergessen ein Schwänzchen zu malen.
Der neue Kindergarten ist genauso toll wie der alte. Dieses Jahr fand ich es auch (endlich!-die Mama) doof, nur immer zuschauen zu müssen, was die anderen essen und selbst Matschepampe auf dem Teller zu haben. Also zunächst habe ich den Enten die Brötchen weggegessen, die Opa immer gekauft hat. Dann wollte ich im Kindergarten Mittags das Gleiche wie die anderen. Und inzwischen esse ich auch zum Frühstück Brot mit Butter und Käse. Überhaupt nennen mich meine Lieben immer Fress-Sack...Wer hätte das gedacht! Natürlich ist auch von Untergewicht keine Rede mehr.
Da ich immer so eine liebe Maus bin, habe ich vom Osterhasen ein Fahrrad geschenkt bekommen. Die Krankenkasse hatte die Bewilligung innerhalb einer Woche zugeschickt - alle Achtung. Vorher hatten wir verschiedene Produkte ausprobiert. Jetzt kann ich also auch wie die anderen Kinder im Wohngebiet rumfahren. Und Mama darf hinterher traben! Rücksichtnahme ist nämlich ein Fremdwort für mich. Was steht da auch ein Auto im Weg.......?!
Am allerliebsten habe ich Tiere, deshalb gehe ich zum therapeutischen Reiten. Zu Hause habe ich jetzt ein Häschen und ein Meerschwein. Das ist vielleicht schön, so einen weichen Wuschel auf dem Arm zu haben und zu schmusen!
Ja und dann gehe ich auch noch tanzen, da ich Musik über alles liebe.
Meine Eltern meinen auch, dass mein Dickkopf noch gewachsen ist, aber irgendwie muss man sich ja durchsetzen, vor allem ohne Worte. Also mit Treten, Schlagen, Spucken... Wenn mir etwas nicht passt, dann rette sich wer kann!
Ach ja - meine Medikamente (Orfiril) haben wir abgesetzt.
Und ich kann mich noch über ein ganzes Kindergartenjahr freuen, meine Eltern schauen sich so langsam Schulen für mich an. Das sehe ich aber ganz gelassen.
(Februar 2005)
Neues von Laura
Liebe Leona-Heft-Leser,
im letzten Jahr habe ich Euch berichtet, dass wir im Urlaub wieder auf die Insel Ré fahren wollten, da mir dort das Eselreiten und Tandemfahren so gut gefallen hatten. Und was soll ich Euch sagen? Die Esel und die betreuenden Studenten haben mich wiedererkannt! Dadurch bekam ich nicht nur Gratisrunden, ich durfte die Esel auch abends reitend mit zur Weide bringen! Ich glaube, nun kennt ihr auch wieder das diesjährige Urlaubsziel!
Was gibt es in diesem Jahr Neues? Ich bin in eine neue Klasse gekommen und brauchte eine ganze Zeit um mich einzugewöhnen. Inzwischen klappt es ganz gut. Am liebsten arbeite ich mit Logico. Natürlich wird auch mein neuer Smalltalker täglich eingesetzt. Inzwischen kann ich schon ganze Sätze damit sprechen. Außerdem habe ich die Grammatik entdeckt. Will sagen, ich habe entdeckt, dass man die Tu-Wörter auch umwandeln kann wie zum Beispiel „essen“ in „gegessen“. Damit ich das und vieles mehr zielgerichtet einsetze habe ich noch zusätzlich einmal in der Woche eine Talkerstunde bei meiner Logopädin.
Mit der Computeremulation für den Talker kann Mama auch ganz einfach Plauderpläne erstellen:
Außerdem gehe ich noch einmal in der Woche zum Schwimmen, in die integrative Sportgruppe und in eine Spielgruppe. Dank dem vollen Programm schlafe ich nachts auch besser. Am liebsten aber spiele ich mit Papa Fußball. Was meint ihr, was ich schon für einen Schuss drauf habe! Ich bin gespannt, wann mich Jogi Löw entdeckt!
Der Rest der Familie, das heißt Mama, Papa und Bruder Christian, gehen weiterhin fleißig zum Gebärdenkursus. Das heißt für mich, auch hier gibt es Fortschritte. Mit dem „Gebärdenbaukasten“ aus dem Verlag Karin Kestner können sie auch interessante Vorlagen erstellen:
Ansonsten fahren wir auch weiterhin in den Herbstferien in den Ponypark. Inzwischen kann ich sogar eine kurze Strecke traben ohne runterzufallen. Da sind meine Eltern mächtig stolz.
Fünf Ferienwochen im Jahr gibt es bei uns jetzt eine Ferienbetreuung in der Schule. Dafür hat meine Mama einen Arbeitskreis an der Schule gegründet und mit einigen Mitstreiterinnen einen Trägerverein gefunden, der sich um Betreuung und Organisation kümmert und die Schulverwaltung des Kreises dazu gebracht, die Sache finanziell zu unterstützen. Die 4 Tage in den Osterferien haben riesigen Spaß gemacht, wir haben Musikinstrumente gebaut, T-shirts bemalt, einen Ausflug in den Tierpark unternommen und vieles mehr. Im Sommer darf ich wieder 3 Wochen Spaß dabei haben!
Bis zum nächsten Jahr
Eure Laura im Juni 2008
Diesmal möchte ich als Mutter noch einen persönlichen Rückblick hinzufügen:
10 Jahre alt wird Laura im Sommer. Zeit für einen Rückblick . Was ist eigentlich so anders an unserem Leben mit einem behinderten Kind? Wie geht es mir heute damit?
Der Anfang verlief wie bei so vielen Familien. Wir bekamen ein Kind mit Herzfehler nach ca. 3 Wochen Krankenhausaufenthalt mit nach Hause, bei dem noch ein Gendefekt vermutet wurde.
Nach der schwierigen Anfangsphase aufgrund Laura's schlechtem Trinkverhalten und ihrem Untergewicht versuchten wir zunächst Normalität zu leben. Ich besuchte eine Pekipgruppe. Aber auch hier waren wir immer die letzten mit allem. Nachdem noch die Epilepsie hinzukam, an die ich mich nie gewöhnen konnte, war klar, die Ursache steckt tiefer.
Die Suchphase begann. Ich studierte den Pschyrembel von vorn nach hinten und zurück. Fahndete nach unentdeckten Stoffwechselstörungen, las alles zu „Syndromen“, da auf den Berichten immer „unbekanntes Syndrom“ stand, war regelmäßig im SPZ. Zeitgleich begann die Frühförderung. Hier wurde erstmalig nicht nur nach Laura's Defiziten geschaut, sondern auch nachdem, was sie schon kann und erstmals gefragt, wie es mir geht. Hier gab es auch Gesprächsabende mit ähnlich betroffenen Müttern, die sehr hilfreich waren. Wir tauschten nicht nur Tipps über die Windelfinanzierung aus, sondern auch Erfahrungen im Umgang mit der Umwelt oder philosophierten über den Sinn des Lebens.
Als Laura ca. 1 ½ Jahre alt war, gab es endlich eine Diagnose. Partielle Trisomie 9q. Endlich steht etwas konkret fassbares auf den Überweisungsscheinen, so dass der Orthopäde nicht mehr dem Kind ins Gesicht schaute mit krampfhaftem Versuch, sich an seine lang zurückliegende Humangenetikvorlesung zu erinnern, sondern dahin wo er sollte- auf die Füße! Alle, teilweise irrationalen Schuldgefühle waren wie weggeblasen.
Wir bekamen Kontakt zu Leona e.V.- an das Telefongespräch mit Caroline erinnere ich mich noch gut: „Manchmal fällt es mir gar nicht mehr auf, dass eines meiner Mädchen behindert ist.“ Aha, Normalität ist also möglich. Als dann die Einladung zum Familientreffen kam, habe ich direkt die Teilnehmergebühr überwiesen, um ja einen Platz zu bekommen!
Auf unserem ersten Familientreffen in Vallendar haben wir uns sofort aufgehoben gefühlt. Es gab viele Gespräche, man brauchte niemandem etwas lange erklären, jeder wusste Bescheid. Christian schloss sofort Freundschaft mit einem Jungen, dessen Schwester gerade gestorben war. Damals wusste ich gar nicht, wie ich damit umgehen sollte, aber die Gespräche mit den Eltern waren sehr offen und herzlich, sodass die Unsicherheit schnell verflog. Christian und Pascal sind auch heute noch bei jedem Familientreffen unzertrennlich.
Durch die Informationen und Begegnungen bei Leona e.V. wurde jedoch auch schnell klar, dass es für Laura keine Schublade geben wird, in die man sie mit einer genauen Zukunftsprognose reinstecken kann. Jedes Kind ist anders. Oft entdecken wir Gemeinsamkeiten mit Kindern, die ein anderes Chromosom betroffen haben. Ich sehe es eher positiv: Bei meinem gesunden Kind weiß ich auch nicht, was mir die Zukunft bringt.
Seit dem Jahr 2000 gehe ich auch wieder arbeiten. Zunächst mit einer verkürzten Arbeitszeit, derzeit mit 35 Stunden. Der Abstand zu den Alltagsproblemen mit den Kindern tut mir gut. Ich bin zwar nachmittags oft k.o., kann aber Laura's Hyperaktivität mit mehr Gelassenheit ausgleichen. Zu Beginn ging Laura zu einer Tagesmutter, später in eine integrative Kindertagesstätte, jetzt in die Förderschule für Geistige Entwicklung.
Ich will nicht verschweigen, dass die Anfangszeiten mit Laura schwierig waren. Da war das Untergewicht, die ständigen Essprobleme, Laura's mehrfach tägliches „Übergeben“, Krankenhausaufenthalte, Untersuchungen, Arzttermine, Therapietermine, die schwer einstellbare Epilepsie. Und auch mit Christian lief nicht immer alles nach Plan. Lag es an meiner Berufstätigkeit oder an der besonderen Situation? Ich weiß von vielen Bekannten, die keine besondere Situation haben, dass Kindererziehung nicht immer geradeaus verläuft und jedes Kind seine Eltern fordert.
Viele Startschwierigkeiten mit Laura sind überwunden. Sie kann fast alles essen, das Übergeben hat sich gelegt, sie hat einen Bauch!, toi, toi keine Anfälle mehr, sie ist, bis auf Unfälle, sauber. Geblieben ist bei mir eine „Terminallergie“. Das heißt, ich hasse es, Arzttermine zu machen und zu organisieren. Der Große (Christian) wird Anfang 2009 seine Ausbildung beenden und wir sind sehr stolz auf ihn.
Ein besonderes Kind fordert besonders heraus. Ich habe die „Medizin“ studiert, ständig neue Therapien kennengelernt und ihr Erfordernis abgewägt, Narkosen abgelehnt, Diskussionen mit Ärzten um notwendige Heilmittel geführt, bin Meisterin im Begründungenschreiben für Hilfsmittel, UK-Spezialistin, lerne Gebärdensprache, programmiere einen Talker… Wen wundert es da, wenn man öfter hinterfragt? So nehme ich die dusseligen Zettel nach einer Reihenuntersuchung in der Schule nicht mehr einfach hin, sondern habe folgenden Brief geschrieben: “Liebes Gesundheitsteam, ich bin mit meiner Tochter regelmäßig in zahnärztlicher und kieferorthopädischer Behandlung, sparen Sie sich daher bitte Ihre Ankreuzzettel. Wenn Sie jedoch eine kieferorthopädische Praxis kennen, die Kinder ohne Narkose behandelt, die nur für Sekunden den Mund aufmachen, bin ich für eine Weitergabe der Adresse dankbar.“
Durch die aktive Mitarbeit bei Leona habe ich beispielsweise gelernt, wie man moderiert an einem größeren Thema arbeitet (Aktiventreffen), wie man über größere Entfernungen ein Familientreffen mit einer Gruppe von Leuten, die weit auseinander wohnen, organisiert usw. In der Arbeit für den Verein möchte ich etwas zurückgeben an Unterstützung, die wir erfahren haben. Dabei ist mein Motto : „Es muss nicht jeder für sich das Fahrrad neu erfinden!“ Außerdem kam mir die bei Leona erlernte Arbeitsweise zugute, als ich an Laura's Schule einen Arbeitskreis gegründet habe, mit dem Ziel eine Ferienbetreuung zu installieren. So gibt man nicht nur, sondern bekommt auch wieder etwas zurück.
Rückblickend muss ich sagen, dass ich mir behindertes Leben anders vorgestellt habe, mit weniger Lebensqualität und mit viel Aufopferungserfordernis seitens der Eltern. Ich sehe unser Leben heute aber als ganz normales Leben. Sicher sind die Unterstützungsangebote für Eltern von behinderten Kindern noch nicht optimal, aber es gibt schon eine ganze Menge davon und man kann selbst auch kleine Schritte tun, diese Dinge weiter voranzubringen.
Ich bin froh, dass ich nie vor einer Entscheidung für oder gegen das Kind gestanden habe, wer weiß, wie diese Entscheidung, vor meiner derzeitigen Lebenserfahrung, mit all meinen damaligen Vorurteilen ausgesehen hätte und wie ich dann damit fertig geworden wäre. Heute würde ich mit niemandem tauschen wollen.
Eure Sabine im Juni 2008
Zuletzt aktualisiert: Juni 2008