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Sternenkind Leon

gestorben und geboren in der 34. Schwangerschaftswoche - Vermutlich mos47, XY+15, Mosaik Trisomie 15

Im Oktober 2019 stellte ich überrascht fest, dass mir mein morgendlicher Kaffee nicht mehr schmeckte. Ein Test bestätigte meinen Verdacht: ich war schwanger. Das kam für uns unerwartet, aber nicht unerwünscht.

Beim Ersttrimesterscreening entdeckte meine Gynäkologin, dass die Nackenfalte meines Babys verdickt war. Sie schickte mich zu einem Pränataldiagnostiker. Ich ging mit dem Gedanke hin, dass der Experte mit seinem Degum 2 Gerät sicherlich Entwarnung gibt. Stattdessen legte er mir jedoch eine Chorionzottenbiopsie nahe, da er ein Ulrich-Turner-Syndrom vermutete. Überrumpelt stimmte ich dem Eingriff zu. Zwei Tage später bekam ich abends den Anruf des Pränataldiagnostikers. Statt einer Entwarnung bekam ich die Nachricht "Freie Trisomie 15". Dies sei mit dem Leben nicht vereinbar. Ich könne die Schwangerschaft beenden. Mein Sohn werde sterben.

Ich konnte es nicht glauben. Ich konnte meinen Sohn schon spüren. Wir begannen zu recherchieren und lasen viel, vor allem auf englischsprachigen Seiten. Wir waren uns sicher, die "Diagnose" muss falsch sein, denn Leon entwickelte sich altersgerecht, das Nackenhygrom bildete sich zurück.

In der 17. Schwangerschaftswoche ließ ich eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen.
Als das Ergebnis mehr als zwei Wochen später endlich da war, konnten uns die Ärzte das Ergebnis hier vor Ort nicht erklären, denn es war nicht eindeutig. Daher sind wir zur humangenetischen Beratung nach Freiburg gefahren. Die Humangenetikerin teilte uns mit, dass 85-90% der Proben unauffällig waren, der Rest der Proben wies Trisomie 15 auf.
Dies konnte 3 Szenarien bedeuten:

  1. Nur die Plazenta ist genetisch verändert und "verunreinigt" das Fruchtwasser. Leon ist gesund.
  2. Leon hat Prader Willi oder Angelman Syndrom, beide sind Mehrfachbehinderungen ohne organische Schäden und nicht im Ultraschall erkennbar.
  3. Leon hat Mosaik Trisomie 15. Dies müsste man jedoch anhand von Fehlbildungen im Ultraschall sehen.

Wir gingen von Variante 1 aus, bereiteten uns aber auch auf den 2. Falls vor, indem wir uns beispielsweise mit der Lebenshilfe und Leona e.V. vernetzten und das Buch von Shari Dietz über das Angelman-Syndrom lasen.

Bis zur 28. Schwangerschaftswoche entwickelte sich Leon ohne Auffälligkeiten. Dann entstand eine Flüssigkeitsansammlung unter einer Lunge. Ich würde 2 Tage stationär aufgenommen und bekam Lungenreifespritzen.

Bei der Kontrolluntersuchung am 01.04. waren die Pleuralergüsse beidseitig und deutlich größer als 5 Tage zuvor. Ich wurde zu Professor Kohl nach Mannheim geschickt. Ich bin mit der Hoffnung hingegangen, er könne Röhrchen setzen, um die Flüssigkeit abzuleiten, damit sich Leons Lungen weiter entwickeln können.

Professor Kohl schaute sich Leon an und entdeckte weitere Auffälligkeiten, die bisher nicht gesehen worden waren bzw. die man bisher nicht interpretieren konnte: ein White Spot im Herzen als Softmarker, Hirnbalken nicht darstellbar, Kleinhirn zu klein, Aktivität der Hände gering. Aufgrund dessen rieten uns Professor Kohl und der leitende Professor der Neonatologie der UMM im anschließenden Gespräch von Intensivmedizin ab und empfahlen uns, Leon, falls er bis zu seiner Geburt leben sollte, palliativ begleiten zu lassen.

Wir waren fassungslos und konnten es nicht glauben, dass unser Leon sterben wird. Er war bis dahin ein aktives und kontaktfreudiges Kind, das auf  Berührungen und Stimmen seiner Familie, ebenso auf Musik und Geräusche aus unserem Alltag prompt reagierte. Hatte ich scharf gegessen, bekam Leon regelmäßig Schluckauf.

Leider nahmen die Ergüsse in der folgenden Woche massiv zu. Ich telefonierte mit Professor Kohl und er blieb bei seiner Meinung. Wir entschieden uns, keine weiteren Ultraschalls mehr machen zu lassen und die letzte Zeit mit Leon zu genießen, sofern das der Corona Lockdown zuließ.

Am 26.04. stellte ich fest, dass ich in den letzten 3 Tagen nahezu 3kg Wasser eingelagert hatte. Das ist sehr untypisch für mich. Das hatte ich in den bisherigen Schwangerschaften nicht. Ich hatte das Gefühl, Ameisen unter der Haut zu haben und fühlte mich extrem kurzatmig. Da mich Professor Kohl vor dem Hydrothorax Mirror Syndrom gewarnt hat, ging ich am 26.04. ins hiesige Krankenhaus.

Meine Lunge wurde geschallt und war frei. Leons Lunge war kollabiert, er hatte Ergüsse im Bauchraum und im Kopf. Sein Herz schlug regelmäßig. Die letzten Wochen waren seine aktiven Phasen immer kürzer und seine Bewegungen zaghafter geworden. Am Abend verabschiedeten sich seine Geschwister von ihm. Er reagierte ein letztes Mal auf die Berührungen seiner Schwester.

Am Morgen des 27.04. spürte ich Leons Bewegungen das letzte Mal. Am Abend des 27.04. hörten wir mit dem Dopton, das mir meine Hebamme geliehen hat, seine regelmäßigen Herztöne. In der Nacht (28.04) wachte ich um 2.30 Uhr auf und hatte Herzrasen, mir war übel und ich bekam extrem schlecht Luft. Ich war etwa 2 Stunden wach, dann schlief ich im Sitzen ein. Im Nachhinein denke ich, dass Leon gegen 2.30 Uhr gestorben ist. Mein Mann und ich beschlossen am Morgen, in die UMM zu fahren, um das Hydrothorax Mirror Syndrom ausschließen zu lassen.

Bei der Aufnahme wurde ein Ultraschall meiner Lunge gemacht, die zum Glück nach wie vor frei war. Als die Ärztin Leon schallte, sahen wir, dass sein Herz nicht mehr schlug. Mein Mann und ich bezogen ein Zimmer in der Frauenklinik und ich begann mit der Geburtseinleitung.

Leon kam am 30.04.2020 um 8.34 Uhr in der 34. Schwangerschaftswoche zur Welt. Ich war erleichtert, dass sein Fruchtwasser klar war, für mich ein Hinweis, dass er friedlich gestorben ist. Die Hebamme war sehr empathisch und gleichzeitig unaufdringlich. Sie hat Leon auf meinen Wunsch hin gewogen und gemessen und uns dann mit ihm allein gelassen.

Leon war war 41cm groß, hatte einen Kopfumfang von 29cm und wog 2050g. Er hatte die dichten Haare von meinem Mann und mir geerbt, ebenso die langen, schlanken Finger und meine Fußzehen. Er sah seinen Geschwistern als Baby ähnlich und seinem Vater.

Kurz nach der Geburt kam ein Fotograf von Dein Sternenkind zu uns in den Kreißsaal. Auch er war wohltuend dezent. Wir waren noch etwa 3,5 Stunden mit Leon im Kreißsaal.

Dann wurde Leon abgeholt und wir fuhren nach Hause. Auf unseren Wunsch hin brachte der Bestatter Leon am Morgen des 01.05. zu uns nach Hause. Er verbrachte den Tag bei uns und wir, seine Geschwister, meine Geschwister und seine Großeltern konnten uns in aller Ruhe von ihm verabschieden. Wir hielten ihn, seine Schwester schnitt ihm eine Haarsträhne ab, wir machten Fotos, wir gestalteten Leons Sarg und feierten Geburtstag und Abschied.

Eine Woche nach Leons Geburt trafen wir uns im engsten Familienkreis zu Leons Beerdigung. Wir waren erleichtert, dass die Beschränkungen aufgrund der Corona Pandemie mittlerweile etwas gelockert waren, so dass nun 15 statt nur 9 Personen an der Beerdigung teilnehmen konnten. Anderenfalls hätten wir wohl losen müssen, wer von unseren Eltern oder Geschwistern kommen darf. Dieser Rahmen war nun stimmig für uns, denn so wurde es eine sehr persönliche Trauerfeier.

Ich bin dankbar für die 34 Wochen, die wir mit Leon hatten. Durch seine Reaktionen auf uns und seine Umwelt bekamen wir eine Ahnung von seinem Wesen. So wurde er zu einer greifbaren Persönlichkeit für uns.


Caroline - Juli 2020