Inhalt
Samuel
Samuel – geb. Jan. 2024 mit stillem Herz
Einleitend:
Unser Sohn Samuel wurde in einer Januarnacht mit einem stillen Herz geboren. Wir sind als Eltern für sein Dasein sehr dankbar und tragen ihn in unseren Herzen weiter.
Ich konnte Samuel durch eine kraftvolle natürliche Geburt in der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt bringen. Er wurde uns bald in die Arme gelegt und er strahlte Liebe und eine tiefe Friedlichkeit aus, die uns das Herz erwärmte – obwohl er seine Augen für immer geschlossen hatte. Wir konnten mit ihm innige Stunden verbringen und ihn zuerst einmal begrüssen - auch wenn klar war, dass der Abschied seines körperlichen Daseins bereits begonnen hat.
Als ich mit der Diagnose «Trisomie 18» konfrontiert wurde, war ich um jeden Erfahrungsbericht, Buch oder Anlaufstelle dankbar, die mir Orientierung und Unterstützung geboten hat. Für mich war es sehr schwierig, die Entscheidung zu fällen, ob ich weitertragen will und kann. Es gab vorwiegend Informationen für den Abbruch. Die Option des Weitertragens tat sich bei mir erst auf, indem ich hartnäckig an diesen zuerst nur zaghaft sich meldenden Wunsch dranblieb. Als besondere Herausforderung kam hinzu, dass mein Partner und ich nicht zur gleichen Ausrichtung kamen: Er war für den Abbruch, aber sagte jedoch zu mir, dass ich es bin, die das Kind trägt und somit die Entscheidung bei mir ist. Darüber hinaus bestand die Unsicherheit, dass er möglicherweise nicht bei mir bleiben würde, weil er sich die Mühen mit einem schwerstbehinderten Kind nicht vorstellen konnte. Letztendlich hat er mich doch bis zur Geburt und darüber hinaus begleitet und sind wir in unserer Beziehung weitaus mehr gewachsen als wir es uns je gedacht hätten.
Die letzte Woche vor der Geburt und die Geburt selbst:
Er hatte sich schon früh in Geburtsposition gebracht – bereits Mitte Dezember – also, ca. zweieinhalb Monate zuvor. Ganz werde ich den Eindruck nicht los, dass er auf diese Welt neugierig war und uns gerne kennengelernt hätte. Aber seine körperlichen Bedingungen brachten leider keine guten Voraussetzungen mit sich. Sein Herz schaffte es nicht, so lange zu schlagen, bis die Geburt einsetzte, sondern verstummte am Beginn der 37. Schwangerschaftswoche.
Eine Woche vor der Geburt bemerkte ich, dass er sich auffällig weniger bewegte. Nach meinem Kurs zum Schwangerschaftsschwimmen hörte meine Hebamme an einem Montagabend die Herztöne ab – am Sonntag (einen Tag zuvor) und dem Montag selbst spürte ich ihn ungewohnt wenig. Sie beruhigte mich, dass das wohl normal sei und vorkommen könne. Ich las in diversen Foren nach und dachte mir, dass er nun evt. nicht mehr so viel Platz in meinem Bauch hat. Im Laufe der Woche war ich aus organisatorischen Gründen im Spital, um dort eine Hebamme kennenzulernen und wichtige Informationen für den kommenden Aufenthalt zu erhalten. Auch ihr erzählte ich meine Sorgen, abermals wurden die Herztöne kontrolliert und mir gesagt, dass ich mich nicht sorgen sollte: Sie seien im normalen Rahmen. Daraufhin wurden am selben Tag (es war der Mittwoch) die Bewegungen von meinem Kleinen intensiver und auch am darauffolgenden Tag - meinem letzten Arbeitstag, zeigte er sich wieder sehr aktiv. Nur kam es am Abend zu einem völligen Ausbleiben der Bewegungen und auch am frühen Morgen gab es kein Zeichen des Wachwerdens meines Kleinen, das er sonst immer mit einigen Tritten anzeigte. Ich geriet in Panik und kontaktierte meine Frauenärztin, die mich sofort zu ihr bestellte. Innerlich fürchtete ich, dass sie keine Herztöne entdecken wird. Es war für uns beide nicht leicht und mir kullerten die Tränen bei der Untersuchung herunter. Aber sie entdeckte sein relativ munter schlagendes Herz. Bei der Untersuchung erwähnte sie, dass sein Herz vergrössert sei und ich sagte ihr, dass sie das auch am 15. Januar – vor 11 Tagen – festgestellt haben. Er versetzte mir auch nach dem Finden der Herztöne einen Tritt, den sie auch an der Bauchdecke sehen konnte. Ich wurde nicht damit konfrontiert, was das vergrösserte Herz bedeutet und ich hatte auch nicht nachgefragt. Ich war nur zutiefst erleichtert, dass ich ihn noch lebendig in mir trug. Am selben Tag spürte ich ihn mit einigen raschen Bewegungen (Hände und Füsse) am Nachmittag nach einem kurzen Powernap und dachte mir, dass das ihm mein zur Ruhe kommen gut gefallen hat. Das war das letzte Mal, dass ich ihn durch Bewegungen in meinem Bauch wahrnahm. Danach kam eine Freundin zum Abendessen. Beim zu Bett-Gehen hoffte ich, ihn wieder zu spüren. Aber er meldete sich nicht. Ich nahm dann noch ein Entspannungsbad und zündete dabei Kerzen an, was ich sonst nie machte.
Beim zu Bett gehen fröstelte mich. In der gesamten Schwangerschaftszeit war mir nie in der Weise kalt. Ich sagte mir trotzdem, dass ich mich nicht verrückt machen darf und dass es ein sehr anstrengender Tag war. Am nächsten Tag spürte ich ihn am Morgen wieder nicht. Ich rief meine Hebamme an – da es nun Wochenende war und fragte, ob sie Zeit hätte, z.B. am Nachmittag vorbeizukommen. Sie sagte mir, dass sie erst am Sonntagvormittag kann. Aufgrund der Erlebnisse am Vortag (Freitag) wollte ich nicht nochmals Panik verbreiten und sagte ihr, dass es in Ordnung sei. Ich beschloss, mich so gut es ging, abzulenken. Obwohl es Januar war, konnte man das erste Mal die Kraft der Sonne an diesem Tag gut spüren und es lag etwas Frühlingshaftes in der Luft. Ich landete auf einer Demo und da hatte ich unvermittelt das deutliche Gefühl, dass ich nun allein und Samuel nicht mehr mit mir war. Aber auch das versuchte ich zu verdrängen. Zu Hause angekommen, ruhte ich mich aus und am Abend kam mein Partner zu mir. Er wusste von den Sorgen und hoffte mit mir unser Samuel möge sich «melden», sich bewegen, aber es blieb ruhig in meinem Bauch. Ich wartete auf den Besuch der Hebamme am nächsten Morgen. Als sie da war, legte ich mich dann auf meine Couch. Nun konnte sie nur mehr das Pulsieren meines Herzschlags in der Nabelschnur hören. Der muntere Herzschlag meines Kleinen war nicht mehr zu finden. In diesem Moment war ich entgegen allen bisherigen Gefühlen aber nicht in Panik. Ich konnte es innerlich akzeptieren, dass mein kleines Kind es nicht weiter schaffte. Mein Partner weinte. Die Hebamme war in diesen Momenten für uns da und langsam besprachen wir, was als nächstes zu tun ist. Wir sollten uns noch Zeit für das Verabschieden nehmen, einen Spaziergang machen usw. Wir hätten sogar noch eine Nacht warten können. Aber wir entschieden uns dazu, dass wir nach am selben Tag ins Spital fahren.
Im Spital angekommen, wurde der Tod meines Samuels offiziell festgestellt: Ein letzter Ultraschall – wobei sie dieses Mal den Monitor von uns abwendeten. Ich hatte auch nicht das Bedürfnis ein Bild zu sehen. Sie bestätigten uns, was langsam als harte Realität einsickerte; sagten mir, dass er gut positioniert sei und die Geburt auf natürlichem Weg stattfinden kann. Als Geburtsvorbereitung erhielt ich eine Tablette (Mifegyne), da sie auch zur Erweichung und Öffnung des Gebärmutterhalses führt, der bei mir noch nicht reif für die Geburt war. Zuerst verbrachte ich noch eine Nacht in meinem eigenen Bett zu Hause – gemeinsam mit meinem Partner und kam erst zur Mittagszeit am nächsten Tag wieder in das Spital. In dieser Zwischenzeit hatte ich keine Schmerzen – auch kein Ziehen. Um die Geburt etwas zu erleichtern, nahm ich Sitzdampfbäder. Wir erhielten ein Einzelzimmer in der Geburtsabteilung und für meinen Partner wurde ein weiteres Bett gleich neben meinem aufgestellt. An diesem Nachmittag verabreichte man mir dann ein Wehenmittel (Misoprostol – besser bekannt unter Cytotec und in D seit 2021 verboten, da es zu sehr starken Wehen führt und wäre das Kind lebendig, könnte es für das Ungeborene gesundheitlich gefährlich werden). Am Abend hatte ich bereits Wehen in sehr kurzen Abständen. Die Geburt ging sehr schnell. Mein Partner konnte bei mir sein und die Betreuung durch die Hebammen war sehr gut. Es gelang der Hebamme mit der Hilfe von meinem Partner am späten Abend gerade noch, mich in den Gebärsaal zu verlegen. Ich wählte eine hockende Position und verzichtete auf stärkere Schmerzmittel. Es war mir wichtig, die Geburt – sofern ich das kraftmässig schaffe – bewusst zu erleben. Ich bereitete mich mental auf die Geburt vor, was u.a. ein wichtiger Schlüssel war, dass ich das kurze «Dasein» von unserem kleinen Samuel intensiv wahrnehmen, erleben konnte: Zwar konnte ich nicht wissen, wie die Geburt wird, aber arbeitete daran, mich auf den Prozess einzulassen und darauf zu vertrauen, dass ich es schaffe. Ich sagte mir, dass ich die Kraft habe sowie dass ich darauf vertraue, dass mein Körper die Fähigkeit hat, mein Kind zu gebären. Grundsätzlich hätte ich alle möglichen Schmerzmittel nehmen können – eine Reihe an Morphinen wurden mir im Krankenhaus angeboten, aber ich lehnte ab und sagte: Erst wenn ich das Gefühl habe, dass es nicht anders geht, würde ich sie nehmen. Mit der Anästhesistin wurde auch eine PDA vorbesprochen, aber sie wurde nicht notwendig. Nach rund 3 Stunden des ersten und einzigen Wehenmittels Misoprostol (vaginal) stellten sich die Wehen ein, die ich zuerst nur als ein Zusammenziehen und Wölben meines Bauches beobachten konnte. Hier war es mir noch ohne weiters möglich, ein wenig spazieren zu gehen (gegen 18 Uhr im Innenhof des Krankenhauses). Rund 2 – 3 Stunden später, war in eher kürzeren Abständen – vielleicht alle 2 Minuten - die Wehen deutlich zu spüren: Ich atmete sie neben meinem Partner auf einem Gymnastikball sitzend aus und hatte aber noch das Gefühl, dass es lediglich die Einleitung ist und nicht wirklich schlimm. Der Muttermund war dann bei einer zwischenzeitlichen Kontrolle 1 cm geöffnet. In den nächsten eineinhalb Stunden ging es jedoch zügig voran. Vor dem Wechsel in den Gebärsaal willigte ich ein, dass sie mir die Schmerzmittel Buscopan und Paracetamol geben (man nimmt sie auch bei Zahnweh oder einer Grippe). Die Austreibungsphase dauerte vielleicht eine halbe Stunde und mein Körper gab ihn durch einen mächtigen Kraftakt gegen 23 Uhr frei. Das war rund 7 Stunden nach der Gabe des Wehenmittels.
Geburtsnacht und langsamer Abschied
Ich hatte einen wunderschönen 40 cm grossen und 1800g schweren Jungen geboren. Es waren mehrere Hebammen zugegen – es waren vier an der Zahl, da um 23 Uhr der Dienstwechsel stattfindet und so zwei von der Frauen-/Geburtsabteilung mitkamen (in den Gebärsaal) – eine, die uns während dem Einsetzen der Wehen begleitet hatte und eine weitere, die sie vom Dienst ablösen sollte und dann noch ein weiteres Paar Hebammen, die im Gebärsaal arbeiteten. Er mochte es immer gerne, wenn viele Menschen, bei ihm waren. Alle Hebammen sprachen darüber, dass er so ein hübscher Junge sei, was eine Mutter, die ihr nicht mehr lebendes Kind zur Welt bringt und dabei in eine Situation gerät, die sie sich mitnichten ausmalen konnte und angstbehaftet war – sehr berührt. Samuel war ein stark präsenter Junge, dem es gelang, dem Tod den unmittelbaren Stachel zu nehmen und seine Eltern mit liebevoller Ausstrahlung zu beschenken. In diesen ersten Momenten, Minuten und Stunden seines Daseins konnte der Schmerz nicht über das an sich Schöne – dass wir ihn sehen und bewundern dürfen - siegen. Es zählte nur, ihn in Händen halten zu dürfen, ihm alle Liebe, zu der man fähig ist, zu geben. Es dominierte ein Frieden und eine stille Glückseligkeit im Raum. Ein besonderes Moratorium, das uns zum Geschenk wurde und half, mit dem unvermeidlichen Schmerz, dass wir ihn nicht in das Leben auf der Erde begleiten dürfen, umgehen zu können. Er kam in der Nacht und zu jener Zeit wurde gerade kein anderes Kind geboren. So hatten wir eine beschützende Ruhe. Alle, die da waren, hatten Zeit und konnten unserem Bedürfnis im Moment für mehrere Stunden zu verweilen, entspannt begegnen. Ich musste etwas genäht werden, da die Wehen so stark waren. Mein Partner trug ihn in dieser Zeit eng an seiner Brust und danach konnten wir wieder zu dritt sein. Er wurde von der Hebamme fotografiert und so gibt es diese Bilder, die festgehalten haben, dass er da war. Wir brachten ihm ein spezielles Tuch mit, in das er nach der Geburt gewickelt wurde und das er behielt. Er wurde nach der Geburtsnacht in ein Körbchen aus Stoff mit Sternen gelegt. Gegen 3 Uhr morgens verabschiedeten wir uns von ihm für diese Nacht. Ich wurde in mein angestammtes Zimmer zurückgebracht und mein Partner und ich schliefen dann nebeneinander ein. Am nächsten Tag starteten wir langsam in den Tag, viele – ob Hebammen oder Ärztin fragten nach unserem Befinden. Nach einiger Zeit kam eine Musiktherapeutin vorbei und auch eine Seelsorgerin (sie arbeitet u.a. auch im Verein www.kindsverlust.ch) stellte sich vor. Mir gelang es, mit den Besucher*innen zu reden, und die Musiktherapeutin meinte, dass sie sogar am Nachmittag, wenn Samuel uns wieder gebracht wird, wiederkommen werde. Zuerst verbrachten wir die erste Zeit des Nachmittags mit unserem kleinen Schatz, der nun nicht mehr die Wärme meines Bauches in sich hatte, allein. Wir weinten und spürten gleichzeitig auch etwas Tröstendes, wenn er bei uns war. Irgendwie hielt er uns davon ab, dass wir in den Abgrund haltloser Traurigkeit rutschten. Da gab es ein liebevolles Netz seines Daseins, das es zu verhindern wusste. Nach einer guten halben Stunde Zeit, kam die Musiktherapeutin herein. Sie zeigte uns den Hang und andere Musikinstrumente. Sie improvisierte ein Lied für uns – für Samuel und seine Eltern – auf der Gitarre und sang dazu. Dieses Lied ist zu unseren Herzen vorgedrungen und hat unsere Tränen fliessen lassen. Es waren gute Tränen, die von der Liebe zu unserem Kleinen erzählten.
Der Nachmittag verging rasch und Samuel wurde wieder weggebracht – wir hätten ihn auch länger bei uns behalten können, aber wir wussten, dass sein Körper im Warmen nicht so lange bestehen würde können. So liessen wir ihn wieder «gehen». Körperlich ging es mir eher gut. Die Entlassung war bereits für den nächsten Tag – am Vormittag – angedacht. Wir konnten jedoch mitreden und baten darum, erst am frühen Abend zu gehen. So verbrachten wir einen weiteren Nachmittag im Zimmer mit unserem kleinen Samuel, der uns wieder gebracht wurde. Dieses Mal blieben wir mit ihm allein. Die Musiktherapeutin hinterliess uns die Gitarre und Hang. An diesem Nachmittag spielte ich für Samuel «I am sailing» auf der Gitarre und sang dazu. Mein Partner spielte auf dem Hang. Dieser musikalische Nachmittag tat uns gut. Danach verliessen wir das Spital. Aber konnten am Vormittag mit der Seelsorgerin vereinbaren, dass wir am nächsten Tag, dem Donnerstag, wiederkommen werden und ein Zimmer reserviert bekommen (ein kleines Besuchszimmer), wo er uns gebracht wurde und er dann auch einen Segen erhielt.
So verbrachten wir von Mittwoch auf Donnerstag die erste Nacht in meiner Wohnung und mussten den besonderen Kosmos unserer im Vergehen begriffenen kleinen Welt, die wir nahe mit Samuel hatten, verlassen. Der städtische Alltag fühlte sich unwirklich und bedrohlich an, da er uns aus diesen mit unserem Sohn verbundenen Schutzraum, herausholte. Die von uns sehr geschätzte Spitalsseelsorgerin bereitete für den Donnerstagnachmittag eine kleine Zeremonie mit Salbung vor. Sie schaffte einen schönen Rahmen, gab uns Halt. Sie verwendete Mandelöl und schenkte uns ein Herz aus Olivenholz, sprach Psalmen, wir spielten ein oder zwei Lieder auf dem Handy ab – die wir sehr mit ihm verbanden, ich las ein paar Zeilen des Dankes an Samuel vor, wir sprachen gute Wünsche aus und zum Schluss segnete sie auch uns, sodass wir die Kraft haben, weiterzugehen. Nach diesem intensiven Nachmittag, der uns mit stärkender Energie versorgte, verliessen wir das Spital abermals und kamen erst nach eine paar Tagen am Sonntag wieder. Wir vergrösserten den Radius und die Zeitabstände zu Samuel – dieses Mal fuhren wir zur Wohnung meines Partners (die in einer anderen Stadt liegt) und kamen erst ein paar Tage später zurück. Zugegebenermassen hatte ich recht grosse Sehnsucht nach ihm und wartete schon auf das Wiedersehen. Nach dem Wiedersehenssonntag fuhren wir sogar für ein paar Tage in die Berge und kamen dann am Mittwoch wieder zurück, um ihn zu sehen. Diese abermaligen Besuche, wo Samuel uns in das uns mittlerweile bekannte Zimmer gebracht wurde, waren wichtig, um den Prozess des Abschiednehmens bewusst durchlaufen zu können. Im Spital (er war auf der Geburtenabteilung für 10 Tage; danach wurde er in die Pathologie gebracht) wurden wir immer sehr freundlich begrüsst und er wurde uns liebevoll gebracht. Wir wurden nie gedrängt - auch wenn klar war, dass wir nicht unendlich lang bleiben konnten. Wir hatten Zeit, ihn wahrzunehmen und gleichzeitig zu spüren, wie er immer mehr ging. Mit diesem Spüren kam auch die Akzeptanz, dass es unausweichlich ist, ihn immer mehr loszulassen. Bei den Besuchen brachten wir ihm kleine Gaben mit – ob das eine kleine Puppe oder ein Kuscheltier oder eine Musik, die einem von uns besonders gefiel. Ich begann auch eine kleine Kindergeschichte zu schreiben, die von ihm und seiner Spielkameradin, Mira, handelte – damit er nicht so allein ist, wenn wir weg sind. Nach rund 10 Tagen musste er in die Pathologie gebracht werden. Damit waren Besuche kaum mehr möglich. Eine Woche später fand die Trauerfeier statt, die wir mit grosser Freiheit gestalten konnten – vom Orgelspiel, Wahl der Kapelle, dem kleinen Kreis Trauergäste bis hin zur Zeremonie, die wir gemeinsam mit der Seelsorgerin besprachen. Der kleine geschützte Rahmen tat uns gut. Am Tag darauf gab es noch ein selbst gestaltetes Ritual mit guten Wünschen und Kerzen unterstützt durch unseren Freundeskreis bei mir in der Wohnung: An diesem Tag halfen alle zusammen und machten den Abend harmonisch und liebevoll. Es tat gut, so viel Unterstützung zu spüren.
Wege des Verarbeitens und Weitergehens
Von meinen Arbeitskolleg*innen und weiteren nahen Menschen, die gerade nicht vor Ort sein konnten, erhielt ich Karten, individuell und persönlich gestaltete Post oder auch eine Frühlingsblume. Ich antwortete ihnen – manchmal schrieb ich selber eine Karte, auf die ich z.B. ein Foto mit fliegenden Möwen klebte, das am Tag vor seiner Geburt entstand. Die vielen Gedanken und Unterstützungsangebote haben uns getragen. Aber das Wichtigste war für mich, dass ich die Verbindung mit Samuel auch nach seinem Tod leben konnte, indem ich z.B. Dinge für ihn gestaltete bzw. auch gemeinsam mit meinem Partner: Ob das eine Kerze war oder eine andere Kleinigkeit. Eine Kerze brennt fast immer für ihn. Er bleibt präsent. Gleichzeitig haben wir ihn aber auch losgelassen. Nach dem Loslassen ist er dann trotzdem in unseren Herzen geblieben.
Vor diesem Schritt, ihn innerlich loszulassen, hatte ich Angst. Denn es war schon schwierig genug, dass er nur so kurz da war und dann wollte ich, dass er nicht verschwindet, sondern dableibt und nicht in den Hintergrund tritt wie eine vergangene Geschichte. Als nach ein paar Tagen nach der Trauerfeier die Einäscherung stattfand, waren mein Partner und besonders ich nervös und unruhig. Ich fragte mich, ob es in seinem Sinn ist und hatte irgendwie Angst um seine Seele und kämpfte auch mit dieser Flüchtigkeit seines irdischen Daseins: Wir hätten ihn gerne bei uns gehabt und ins Leben begleitet. Ich wollte Samuel aber auch nicht meinen Gram und Trauer aufladen, sondern ihn auch all die Liebe zu Teil werden lassen, die andere (gesunde) Kinder bekommen können. Da habe ich ihm innerlich gesagt, dass er mein geliebtes Kind ist und ich ihm danke, dass er mir so gute Energie gegeben hat, als er in meinem Bauch war. Dass ich stolz bin, dass ich ihn tragen durfte und die Bauchzeit mit ihm genossen habe. Ich sagte mir, dass es sicher nicht in seinem Sinn ist, mich durch sein Weggehen aus dieser Welt als Häufchen Elend zu hinterlassen. Er soll wissen, dass er mich als mein Sohn trotz seines lebensfeindlichen genetischen Bauplans in meinem Leben Wichtiges mitgegeben hat: Liebe, Stärke und Mut. Als er endgültig seine irdische Form verlassen musste, habe ich ihm innerlich alle Liebe und Schutz im Gedanken gesendet, zu der ich fähig war. Habe für ihn gebetet, dass er sich frei fühlen möge und gleichzeitig geliebt, geborgen und behütet. In diesen Momenten – wo ich mich auf das Loslassen seiner Seele eingestellt habe und ihm eine gute Begleitung bis zum Schluss sein wollte, passierte etwas Schönes: Ich hatte das Gefühl, dass ein Teil von ihm immer bei mir sein wird und ich mir darum keine Sorgen machen muss. Ab diesem Tag hatte ich nicht mehr die Angst, dass ich ihn verloren habe. Mir ist bewusst, dass man all das, was ich schreibe, als haltgebende Illusion ansehen kann. Aber ich gönn mir diese «Spinnerei»/diese Verarbeitungsweise. Ich denke mir, dass es bestimmt viele Wege gibt mit der Trauer eines so schweren Verlusts umzugehen. Es ist in Ordnung seltsame Dinge zu tun – basteln oder viele Kilometer pilgern, Gespräche mit dem Kind führen, innere Bilder und Geschichten zu haben. Mein Partner schlug vor, dass wir nach der Trauerfeier einen kleinen Urlaub machen. Er hat uns gutgetan und neue Energie gebracht – auch wenn wir die ersten Schritte in dieses «Danach» zögerlich und vorsichtig machten, aber mit der Zeit ging es leichter und durfte sich zwischendurch auch etwas Unbeschwertheit einstellen.
Literatur – meine Leseliste – eine Auswahl:
- Handbuch «Weitertragen - Wege nach pränataler Diagnose.» Begleitbuch für Eltern, Angehörige und Fachpersonal (von Kathrin Fezer Schadt & Carolin Erhardt-Seidl, 2018)
- «Lilium Rubellum» (2014) Kathrin Schadt (Roman – Darstellung von unterschiedlichen Entscheidungswegen nach der Pränataldiagnostik in Romanform)
- «Franziska, die Trisomie und das stille Ende. Tagebuch einer Schwangerschaft.» (Renate Ebert)
- «Umarmen und Loslassen» Geschichte von Jael (Ehepaar Shabnam und Wolfgang)
- «Solange das Herz schlägt» (2024) Artikel im Onlinemagazin Republik
Beratungsstellen im Raum Nordwestschweiz + Süddeutschland:
Donum Vitae (Freiburg/Breisgau) - donum-vitae-freiburg.de : Meine erste Ansprechpartnerin war Elisabeth Baumstark Biehl (mittlerweile in Pension, arbeitet in privater therapeutischer Praxis weiter)
Kindsverlust.ch: www.kindsverlust.ch – Kerstin Rödiger: Seelsorgerin (im Universitätsspital Basel) – Trauerarbeit
LEONA …
Mein Netzwerk:
Frauenärztin
Pränataldiagnostik (Bethesda Spital)
Hebammen (privat – mit besonderer Ausrichtung)
Therapeutin (Raum Basel)
Freund*innen
Betroffene
Familie
Alternative Heilpraktikerin (Österreich)
Univ. Spital (Basel